Adolf-Ernst Meyer und die Entwicklung der Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland

Studientag des Adolf-Ernst-Meyer-Instituts
5. Dezember 2015
Wer war Adolf-Ernst Meyer?
Aus Anlass des 90. Geburtstags von Adolf-Ernst Meyer

Download der Datei

Hubert Speidel
Adolf-Ernst Meyer und die Entwicklung der Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland

Adolf-Ernst Meyer hat sich bei einer Veranstaltung einmal als Gastarbeiter bezeichnet, und das heißt, wenn man den Vorhang dieses für ihn typischen Understatements lüftet, unter anderem, dass er in Zürich bei berühmten Lehrern wie Manfred Bleuler, Hess, Bally, Boss und anderen eine vorzügliche Ausbildung in Psychotherapie, Psychoanalyse, Neurologie, Neurochirurgie und Innerer Medizin erhalten hatte, – der Nobelpreisträger Hess war sein Doktorvater, Bally sein Lehranalytiker -, bevor er 1957 nach Hamburg kam, um in der damaligen psychoanalytischen Abteilung von Ulrich Ehebald im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll psychotherapeutische Praxiserfahrung zu erwerben. Folgt man seiner eigenen Darstellung, so erscheint es eher wie ein glücklicher Zufall, dass er uns in Hamburg erhalten blieb: Es fehlten ihm zur Facharztanerkennung noch einige Monate Innerer Medizin, und eine DFG-Stelle bei Arthur Jores bot sich an. Bei Dienstantritt am 1.Mai 1958 nahm ihn sein Partner der folgenden Zeit, ebenfalls mit einer DFG-Forschungsstelle bedacht, beiseite. Es war Detlef von Zerssen, dem durch einige Monate Erfahrung am Universitätskrankenhaus Eppendorf die Naivität schon abhanden gekommen war. In einem Café an der Alster, so wird berichtet, vermutlich bei Bobby Reich, gab er dem zwar schon durch hämische Bemerkungen anderer über den gemeinsamen Chef Arthur Jores und dessen psychosomatischer „Narretei“, wie es hieß, etwas vorbereiteten Schweizer Gastarbeiter den letzten Verhaltensschliff. Ich zitiere v. Zerssens Richtlinien im Originalton Adolf-Ernst Meyers:

„1. Im Zweifelsfall fragen Sie mich.
2. Wann immer Sie etwas veranlassen, tun Sie es schriftlich und mit Kopien an Chef und alle vier Oberärzte.
3. Solange Sie eine Krankengeschichte nicht vollständig ausgewertet haben, schließen Sie sie weg.
4. Wenn ein Oberarzt Sie besonders freundlich grüßt, ist höchste Gefahr im Verzug, überlegen Sie, wo Sie verwundbar sein könnten.
5. In allen übrigen Fällen tritt Regel 1 in Kraft.“

Man muss sich die Situation damals vorstellen: Die Oberärzte von Jores hatten ihn als einen hervorragenden Endokrinologen erlebt und waren enttäuscht über die seltsame psychosomatische Liebhaberei des Chefs. Es war die Kriegsgeneration, soweit sie Rußland überlebt hatte. Einer davon, der Kardiologe Gadermann, gehörte zu den höchstdekorierten Frontoffizieren des 2. Weltkrieges; die Umgangsweisen waren dementsprechend. Von Zerssen zitiert einen von ihnen: „Lassen Sie die Finger davon, wir haben noch jeden abgeschossen!“ Ich weiß nicht, ob es jener Kriegsheld war, den ich schon als Kind bewunderte, weil er hunderte feindlicher Flugzeuge abgeschossen hatte. Seine größte Heldentat war, dass er hinter den russischen Linien landete, weil dort sein Chef Udet abgestürzt war und er ihn rettete. Gadermann war übrigens ein ausgesprochen liebenswürdiger, unintriganter Mensch. Von ihm wird überliefert, dass er ohne anzuklopfen in Adolf-Ernst Meyers Zimmer trat und sich damit entschuldigte: „Die reden doch bloß.“ In Adolf-Ernst Meyer waren sie aber an den Falschen geraten – in unserem Sinne muss man sagen, an den Richtigen. Schließlich hatte er sich schon beim schweizerischen Militär als verlachter Städter gegen die groben Bauernburschen behaupten müssen, dem Vernehmen nach sehr erfolgreich. Man kann es den hartgesottenen Joresschen Oberärzten nicht verdenken: Die Joressche Psychosomatik war eine große Pioniertat, verdienstvoll, begeisternd und mitreißend für Studenten und Anfänger wie mich, aber sie war auch naiv, und das nahmen seine erfahrenen Kämpen wohl wahr. Adolf-Ernst Meyer auch.
Charakteristisch in diesem Sinne war der Forschungsauftrag an Adolf-Ernst Meyer und Detlef von Zerssen: Sie sollten sich mit dem Hirsutismus beschäftigen, von dem Jores meinte, es gäbe keine endokrinologischen Befunde, und deshalb sei es wohl eine psychosomatische Erkrankung, also im Sinne einer  Psychogenie.
Wie Adolf-Ernst Meyer und Detlef v. Zerssen sich nun aber dem Forschungsgegenstand näherten, das ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert: Sie fielen nicht auf eine psychosomatische Mythologie herein. Sie begründeten vielmehr an diesem Beispiel eine moderne, interdisziplinäre, empirische Psychosomatik, und sie waren damit wegweisend. Genauer gesagt: Sie eröffneten am Universitätskrankenhaus Eppendorf der Psychosomatik überhaupt erst eine Zukunft. Sie verschafften sich den Respekt der Kliniker, weil sie, wie es wohl etwas karikierend heißt, wussten, was Mittelwert und Streuung ist, obwohl sie sich, was von heute aus gesehen erstaunlich klingt, in die Statistik selber erst einarbeiten mussten.
In der Meyerschen Darstellung lautet es so: v. Zerssen sei noch eine größere statistische Flasche gewesen als er, während v. Zerssen anerkennend feststellte, dass Adolf-Ernst Meyer in der Schule doch wohl einen sehr soliden mathematischen Unterricht gehabt haben müsse.
Bevor ich in aller gebotenen Kürze die wichtigsten Forschungsprojekte Adolf-Ernst Meyers nenne, deren erstes eben das Hirsutismus-Projekt war, mit dem er sich auch habilitierte, muss ich die Beziehungen zum Psychologischen Institut nennen, die sehr wichtig wurden. Hier wirkten bedeutende Professoren: Bondy, sein Nachfolger Hofstätter, Lienert, Pavlik, Tausch, und einige von ihnen erkannten offensichtlich die herausragenden Fähigkeiten Adolf-Ernst Meyers. Lienert ermutigte ihn zum Psychologiestudium, das er 1970 mit der Promotion in Konstanz abschloss. Ich erwähne das nicht aus currikulärem Interesse, sondern weil es ein Beleg für die Einsicht Adolf-Ernst Meyers in die wichtigen methodischen Ressourcen der klinischen Psychologie war, die es zu nutzen galt. Wenn ich es richtig verstehe, entsprang diese Haltung den ersten Auseinandersetzungen im UKE und den Erfahrungen mit dem Hirsutismus-Projekt, und er hat sich daran auch durch Anfeindungen, die in dieser Hinsicht nicht aus der Klinik, sondern aus der psychoanalytischen Gemeinde kamen, nie anfechten lassen. In der Forschung war er akribisch und unerbittlich, und so wurde er einer der bedeutenden Vorkämpfer und Repräsentanten moderner psychosomatischer Medizin.
In seiner Selbstdarstellung  „30 Jahre Psychosomatik“ nimmt von allen Forschungsinteressen das Hirsutismus-Projekt bei weitem den größten Raum ein, vermutlich, weil es seine Identität als Forscher entscheidend geprägt hat. Hier konnte – meines Wissens erstmalig so differenziert – nachgewiesen werden, dass und wie nosologische Entitäten, die dem Psychosomatoseverdacht unterliegen, differenziert werden müssen. Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, dass dem Hirsutismus, mindestens in einem Teil der Fälle, ein genetischer Faktor zugrunde liegt. Jedenfalls waren diejenigen Fälle die ausgeprägteren, in deren familiärer Umgebung andere Personen mit Hirsutismus vorkamen. Lebensereignisse – Stress – spielten die auslösende Rolle, und die Verarbeitungsweisen waren unterschiedlich: Die Abwehr konnte verstärkt sein, es gab eine hirsutismusbezogene Akzeptationsproblematik, und in manchen Fällen kam es zur Reaktivierung von Männlichkeitswünschen. Die Psychogenievermutung konnte auch endokrinologisch verworfen werden: Zwar waren bei den hirsuten Frauen die Gesamt-17-Keto-Steroide nicht auffällig, wohl aber waren diejenigen Fraktionen erhöht, welche androgen-aktive Metaboliten enthielten. Bei Frauen mit geringer genetischer Disposition war dieser Befund weniger ausgeprägt und ließ die Deutung zu, dass es bei ihnen  einer stressbedingten Steigerung der Nebennierenrindenproduktion bedurfte, damit ein Hirsutismus entstehen konnte.
Sicher spielten günstige Umstände eine Rolle für seine weitere Entwicklung als Forscher, aber entscheidend ist eben, dass und wie er sie ergriffen hat. So erfuhr Hedwig Wallis, die damalige Direktorin der Psychosomatischen Abteilung der Universitäts-Kinderklinik 1966, dass es in der Deutschen Forschungsgemeinschaft Sonderforschungsbereiche geben werde, und sie gewann Adolf-Ernst Meyer und den Sexualwissenschaftler Hans Giese für die tollkühne Idee, mit geringem Personal und ohne das Adelsprädikat eines Lehrstuhlinhabers sich gemeinsam darum zu bemühen. Manche hätten damals eine solche Absicht für verrückt erklärt. Aber wie ich selbst aus der Nähe erfahren habe, wuchs Adolf-Ernst Meyer über seine schon vorhandene eindrucksvolle Statur immer noch mit den Herausforderungen hinaus, und so konnte 1973, nachdem der neue Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie, Jan Gross, passend ausgesucht war, der Sonderforschungsbereich 115 „Psychosomatische Medizin, klinische Psychologie und Psychotherapie“ beginnen, der über das Jahrzehnt seines Bestehens hinaus dem UKE einen Zuwachs an psychosomatisch-psychotherapeutischer Forschungs- und Praxiskompetenz beschert hat, für das diese ehrwürdige Institution Adolf-Ernst Meyer nicht genug danken kann. Spätestens damit kann Adolf-Ernst Meyer als einer der bedeutendsten Repräsentanten dieses an bedeutenden Forschern und Klinikern reichen Krankenhauses bezeichnet werden. Im Rahmen des SFB entstanden einige seiner wichtigsten Forschungsprojekte, die auch nach dem Ende des SFB Forschungsgegenstand geblieben sind. Auch was danach in der Abteilung an wichtigen Projekten entstand, zehrt von dem personellen und Forschungskapital des SFB 115, ganz zu schweigen von der Position, welche die Psychofächer, verglichen mit anderen Klinika, hier gewonnen haben. Dass der heutige Dekan aus diesem Bereich stammt und hier ein großes Ansehen genießt, ist zwar seinen Fähigkeiten zuzurechnen, aber eben auch eine der späten Folgen damaliger Forschungspolitik, deren geistiges Zentrum Adolf-Ernst Meyer war.

Großes Ansehen in der wissenschaftlichen Welt erlangte das Kurzpsychotherapieprojekt, in dem zwei Psychotherapieverfahren miteinander verglichen wurden: Die personzentrierte oder Gesprächspsychotherapie nach Rogers und eine psychodynamische Therapie, die an der Balint-Malanschen Fokaltherapie orientiert war. Nach Vorarbeiten seit Ende der 60er Jahre wurden Patienten der Ambulanz der psychosomatischen Abteilung, die sich innerhalb von 1½ Jahren zwischen 1971 und 1973 vorstellten, falls sie zwischen 20 und 40 Jahre alt und noch nicht in der Psychotherapie oder in einer psychiatrischen Klinik gewesen waren, nach Testung und Interviews bei je einem Vertreter der beiden Schulen in einem Fokus-Formulierungs-Seminar einem der 12 Gesprächs-Psychotherapeuten oder der 13 Psychoanalytiker bzw. einer Wartegruppe zugelost, falls nicht eine Kontraindikation definiert worden war. Die Dauer der Therapien wurde auf 30 Sitzungen begrenzt. Insgesamt wurden 68 Therapien abgeschlossen und nach drei und neun Monaten sowie nach 12 Jahren nachuntersucht. Es würde zu weit führen, die zahlreichen Ergebnisse dieser Studie im einzelnen darzustellen. Einiges soll erwähnt werden. Beide Therapieformen liefern unterschiedliche Resultate, und zu unterschiedlichen Katamnesezeiten gibt es unterschiedliche Therapieergebnisse. Nach 12 Jahren waren bei der Therapiegruppe immer noch Therapieeffekte nachzuweisen, im Gegensatz zu denjenigen Patienten, welche die Psychotherapie nicht angenommen hatten. Die Therapieeffekte nach drei Monaten unterschieden sich von denen der Wartegruppe. Die beiden Psychotherapieschulen verwendeten dieselben Interventionsformen, aber infolge von unterschiedlicher Dosierung und Interaktionen wirken diese unterschiedlich bis gegenteilig. Das Projekt, das Bestandteil des SFB 115 war, galt zu Recht wegen seiner sorgfältigen Planung und Durchführung als eines der bis dahin besten in der Psychotherapieforschungsgeschichte. Eine große Zahl von Publikationen und Diplomarbeiten haben sich mit den unterschiedlichen Auswertungsaspekten befasst. Ein Teil davon wurde in einer Ausgabe von „Psychotherapy and Psychosomatics“ 1981 veröffentlicht.
Heute würde man das Projekt wohl nicht mehr so anlegen, denn es hatte einen methodischen Mangel, den die Psychoanalytiker dieses Wettrennens, zu denen auch meine spätere Frau und ich gehörten, wohl bemerkten. Während die Gesprächstherapeuten ihrer erlernten Routine entsprechend arbeiten konnten, hatten die Psychoanalytiker es mit einem Abkömmling der Fokaltherapie zu tun, mit dem wir alle nicht vertraut waren. Wir Analytiker waren uns auch einig, dass der beste Psychoanalytiker des  Projektes Jochen Eckert sei, aber der arbeitete für die falsche Seite.
Wir waren aber alle mit den Intentionen unseres Chefs so identifiziert, dass niemand von uns auf den Gedanken gekommen wäre, da nicht mitzumachen.
Bei aller Kritik: Das Projekt war ein Meilenstein in der modernen empirischen Psychotherapieforschung. Nicht zuletzt war es auch eine Bestätigung des Wertes der Gesprächstherapie nach Rogers, und es ist ein Skandal, dass diese Therapierichtung nicht als Bestandteil der kassentechnisch zugelassenen Therapien anerkannt wurde – ein Resultat von Machtpolitik, nicht von wissenschaftlicher Erkenntnis.
Die Beschäftigung Adolf-Ernst Meyers mit der Anorexia nervosa geht mindestens auf den Beginn der 60er Jahre zurück. Damals begann der Internist Heinz Frahm seine aufsehenerregende internistisch-pädagogische resp. verhaltenstherapeutische Arbeit mit Anorexia-nervosa-Kranken, die auch der Gegenstand seiner Habilitationsschrift wurde. Ich habe die Anfänge miterlebt. Ich war damals Medizinalassistent in der Station, in die Frahm als neuer Stationsarzt kam. Ich führte ihn sozusagen in die Stationsarbeit ein. Bis heute erinnere ich mich an den Namen einer Patientin, die mit stoischem Gesicht unsere therapeutischen Bemühungen an sich abprallen ließ. Eine anorektische Patientin. Sie hat Frahm einen Machtkampf geliefert, und er formulierte an ihr sein Anorexie-Machtkampfprojekt. Die von Frahm begründete Behandlungstradition, die erfolgreich war, bescherte der II. Medizinischen Klinik einen einschlägigen guten Ruf und die Überweisung schwerstkranker Anorexia-nervosa-Patientinnen, für die damals niemand weit und breit ein Behandlungskonzept wusste. Von Anfang an bestand eine gute Zusammenarbeit mit Adolf-Ernst Meyer, die in der Spätphase des SFB 115, Anfang der 80er Jahre, in einem großen, zusammen mit Klaus Engel durchgeführten Projekt mündete. Motivationsfragen, Affektabwehr (Alexithymie), die Untergruppenbildung (Taxonomie), die Überprüfung unterschiedlicher Therapieelemente – klinisch-internistische Maßnahmen, strikte Führung, supportive und konfliktbearbeitende –, aber auch eine epidemiologische Studie und vor allem die Untersuchung der prognostischen Faktoren waren die Gesichtspunkte dieser Forschung.
Zu Adolf-Ernst Meyers ehrgeizigsten Projekten gehörte der PSACH, ein psychoanalytischer Fragebogen, entsprechend seinem Credo, Psychoanalyse müsse (auch) mit couchfernen Methoden erforscht werden. Das Projekt wurde nicht abgeschlossen. Gewissermaßen sprang hier sein Schüler Deneke ein, mit seinem Narzißmusinventar, das sich in der Praxis bewährt hat.
Der Psychoanalyse war Adolf-Ernst Meyer immer verbunden geblieben, auch wenn er den älteren Psychoanalytikern, vor allem meinem Lehranalytiker Ulrich Ehebald immer verdächtig war. Davon habe ich erst nach meiner Analyse erfahren. Da war Ehebald fair, obwohl ihm meine begeisterten Berichte über Adolf-Ernst Meyer nicht gefallen haben werden. In Hamburg war er als Dozent am Hamburger Psychoanalytischen Institut und dessen Nachfolgeinstitution, dem staatlichen Michael-Balint-Institut tätig. Er war Lehr- und Kontrollanalytiker. Diese Qualifikation musste er sich aber in Zürich abholen. Innerhalb der Psychoanalyse gehörte er zu denen, die kritisch anmahnten, dass die Psychoanalyse sich modernen wissenschaftlichen Methoden öffnen müsse, die über Freuds Junktim von Therapeut und Forscher hinausreichen und sich auch dessen bedienen, was andere Wissenschaften zur Verfügung gestellt haben.  Damit wurde er zu einem der klügsten und scharfsinnigsten Kritiker, aber gleichzeitig zum Verteidiger ihrer guten und erhaltenswerten Substanz. Manche meinten deswegen, er sei kein „richtiger“ Psychoanalytiker, aber wenn es um die theoretische Auseinandersetzung mit den Gegnern der Psychoanalyse ging, gab es keinen, der trefflicher argumentieren konnte; dann brauchte man ihn, wie er selbst sarkastisch bemerkte, während er in friedlichen Zeiten eher als nicht ganz koscher angesehen wurde. Seine Rolle in der Situation des „res ad triarios venit“ – d.h. der erfahrensten Kämpfer in den römischen Legionen, die in der dritten Reihe die Schlacht notfalls zum Guten wenden mussten, war bei uns allen die von uns gewünschte und erwartete, und er hat uns nie enttäuscht.
Die Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der Psychoanalyse fand natürlich auch am Ort statt, aber nicht nur hier. Die großen psychoanalyseinternen Schlachten wurden vielmehr am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main geschlagen. Ich erlaube mir, den Anfang einer Rede im Wortlaut zu zitieren, die Adolf-Ernst Meyer dort am 4. Dezember 1987 gehalten hat. Sie enthält ein Stück Leidensgeschichte, sie ist ein Zeugnis seines Kampfgeistes und seiner intellektuellen Mittel, und sie enthält vor allem sein wissenschaftliches Credo; schließlich ist sie in ihrer Diktion und in der Art und Weise, wie Adolf-Ernst Meyer focht, so charakteristisch, dass ich Ihnen wenigstens eine Kostprobe nicht vorenthalten möchte.
Der Titel lautete:
„Psychoanalytische Forschung für das Ende des Jahrhunderts“
Ich freue mich sehr und werde sehr undankbar dafür sein, dass das Sigmund-Freud-Institut mich doch noch ein drittes Mal eingeladen hat. Das erste Mal endete mit einem Missverständnis, das zweite Mal mit einem handfesten Krach. Das erste Mal hielt ich einen Vortrag über ‚Möglichkeiten der Verifizierung und Validierung der Psychoanalyse in und außerhalb des psychoanalytischen Dialogs‘. Das war meine Antrittsvorlesung gewesen.
Mein Argument lautete: Die Psychoanalyse bedarf der Validierung mit ‚couchfreien‘ Methoden und dieses ist auch möglich. Dafür habe ich Beispiele gegeben. Als Schlusswort sagte Mitscherlich, ich sei ein ganz schlitzohriger Kollege, der offenbar raffinierte Techniken ersonnen habe, meinen somatischen Kollegen beizubringen, dass an der Psychoanalyse was dran sei.
Das war keineswegs der Sinn meines Vortrags gewesen, indes war ich so verdutzt, dass ich nur lahm erwidern konnten, das sei nur ein Nebeneffekt, und in der Hauptsache glaube ich wirklich, dass dies nötig sei.
Den zweiten Vortrag hielt ich anlässlich des Symposions zur Eröffnung des Sigmund-Freud-Instituts über ‚Möglichkeiten und Grenzen der Psychoanalyse in der psychosomatischen Medizin‘. Etwas blauäugig wählte ich die Frahm-Therapie der Anorexia nervosa (also die Kombination von Wiederauffütterung und gleichzeitiger Sedierung der Patientinnen mit strikten Anweisungen zur Verhaltensänderung, H.S.) und zeigte daran, dass sie die Möglichkeiten der Psychoanalyse nicht hat, über unbewusste Motivationen der Patientinnen etwas zu erfahren. Dass sie andererseits aber die Grenzen der Psychoanalyse weit übersteigt, weil sie nämlich den Widerstand und die fehlende Krankheitseinsicht der Patientinnen einfach überfährt. Nun war das damals offenbar ein heißes Thema, denn Herr K. beschimpfte mich als KZ-Schergen und Herr B. als SS-Mann. Herr Mitscherlich führte dieses Feindbild wieder in etwas realistischere Proportionen und sagte, persönlich sei ich ein ehrenwerter Mann, aber ich sei natürlich unwissentlich ein Agent der Pharmazeutik, und man wisse, dass die Pharmazeutik der Psychoanalyse alles Böse wünsche.
20 Stunden später kam Herr Mitscherlich anlässlich der DPV-Generalversammlung auf mich zu und sagte, ich hätte wohl eine handfeste Gegenaggression gut. Das war Mitscherlichs sympathische Art, sich zu entschuldigen.
Nun, ich erzähle Ihnen diese Geschichte aus vier Gründen. Erstens, weil – wie Sie wissen – alte Männer gern in Reminiszenen schwelgen. Zweitens, weil ich hoffe, Ihr Mitgefühl zu mobilisieren und in Identifikation zu verwandeln. Drittens, um anzukündigen, dass ich in den nächsten Minuten meine Gegenaggression posthum im Hier und Jetzt loswerde. Und viertens – und das ist der einzig sachliche Grund – weil ich sicher bin, dass diese Divergenzen, die zu den damaligen Krächen geführt haben, heute genauso bestehen wie damals und dass das heutige Thema im Prinzip für Sie genauso kontrovers sein wird.
Meine Gegenaggression hat eine zweitstufige Struktur:
Erstens: Nicht die Pharmazeutik, sondern die Psychoanalyse, die Mainstream-Psychoanalyse, wird die Psychoanalyse als Wissenschaft und Forschung töten. Dies wird sie schaffen
a) durch Festhalten an obsoleter Methodik,
b) durch Verleugnung von Ergebnissen anderer Disziplinen,
c) durch Heiligenverehrung Freuds und
d) durch die Zunfterstarrung ihrer Institutionen.
Zweitens: Das Sigmund-Freud-Institut ist Hort und Inbegriff der Mainstream-Psychoanalyse. Bei meiner Aggression liegt die Betonung auf Forschung und Wissenschaft, als Therapie wird Psychoanalyse selbstverständlich überleben, aber auf dem Niveau der christlichen Wissenschaft – irgendwo zwischen Homöopathie und Dianetik und Urschrei. Daraus entsteht ein tragischer historischer Treppenwitz, denn genau dieses wollte Freud um jeden Preis verhindern.“
Das muss gewirkt haben, denn heutzutage machen sie am SFI u. a. unter der Leitung von Frau Leuzinger-Boleber anständige empirische Therapieforschung, aber die politische Einäugigkeit bestand weiter. Als treuer Schüler von Dolf Meyer habe ich es den Institutsmitgliedern in einem Vortrag anlässlich des 70. Geburtstags von Stavros Mentzos, Jahre nach Dolf Meyers Tod, auch mitgeteilt. Das würde ich natürlich gern erzählen, aber es gehört nicht hierher.
Als psychoanalytischer Forscher fand Dolf Meyer in der Ulmer Arbeitsgruppe um Thomä und Kächele kongeniale Partner. Sie waren die ersten, die Tonbandmitschnitte von Psychoanalysen herstellten. Es entstand ein ehrgeiziges Projekt zum Liegungsrückblick, eine der für Adolf-Ernst Meyer charakteristischen Wortschöpfungen, unter dem Motto „Wie tickt der Psychoanalytiker?“ Es war der ernsthafte und entschlossene Versuch, veraltete psychoanalytische Empirie durch eine moderne zu ersetzen.
Eine der Großtaten Adolf-Ernst Meyers der späteren Jahre war das zusammen mit seinem damaligen Mitarbeiter Rainer Richter sowie dem Berner Psychotherapieforscher Klaus Grawe, dem Medizinökonomen Matthias Graf von der Schulenburg und dem Sozialrichter Bernd Schulte im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 1991 veröffentlichte Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes. Dieses ungeheuer materialreiche, sorgfältig konzipierte Handbuch stellte eine bis dahin nicht existierende, großangelegte und umfassende Aufarbeitung der psychotherapeutischen Gesamtsituation und insbesondere der Situation und Funktion der psychologischen Psychotherapeuten dar und wurde zum maßgeblichen Nachschlagewerk. Adolf-Ernst Meyer und seine Arbeitsgruppe hatten sich mit diesem Auftrag gegen eine ganze Reihe renommierter Arbeitsgruppen durchgesetzt, zweifellos dank der vielseitigen, hochkarätigen Zusammensetzung, aber zweifellos auch wegen des exzellenten Rufes, den sich Adolf-Ernst Meyer als Forscher und kritischer Kenner der Szenerie erworben hatte. Das Gutachten ist natürlich, entsprechend den unterschiedlichen Interessenslagen der darin angesprochenen Berufsgruppen, z. T. heftig angegriffen worden, aber seine solide Substanz hat sich als ziemlich unerschütterlich erwiesen. Adolf-Ernst Meyer wies hier nachdrücklich darauf hin, dass die einseitige Förderung von Rehabilitationskliniken eine Fehlentwicklung sei, weil sie die Chronifizierung von Krankheiten nicht verhindere, sondern eher fördere, und daraus ergebe sich die Forderung nach psychosomatischen Abteilungen an allgemeine Krankenhäusern.
Diese Forderung war vernünftig, wurde aber zu selten realisiert. Nachdem ich drei Jahre lang, neben meinem Lehrstuhl,  Chefarzt in einer psychotherapeutischen Abteilung einer solchen Rehabilitationsklinik war, kann ich sagen, dass dort gute Arbeit geleistet wird, und während die Psychoanalyse aus den Lehrstühlen für Klinische Psychologie verschwunden ist, was man bedauern muss, hat sich die psychodynamische Richtung in den Rehakliniken gehalten, in Bad Segeberg, wo ich tätig war, in sehr erfreulicher Zusammenarbeit mit den Verhaltenstherapeuten.
Dieses Forschungsgutachten ist wohl der Höhepunkt im öffentlichen Wirken Adolf-Ernst Meyers. Es ist nicht sein einziges berufspolitisches Betätigungsfeld. Von 1970 – 1972 war er Sprecher des Fachbereichs Medizin, Dekan also. Seit 1971 war er für viele Jahre Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Von 1982 – 1992 wurde er als Nachfolger Thure von Uexkülls Vorsitzender des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin, und er wäre es geblieben, wenn er es nur gewollt hätte. Ich wurde sein Nachfolger, und Bernhard Strauß wurde mein Nachfolger. 1983 war er Veranstalter und Präsident des 8. Weltkongresses des International College for Psychosomatic Medicine in Hamburg. Weitere internationale Würdigungen sind in den späten Jahren hinzugekommen. 1986 ernannte ihn die British Society for Psychosomatic Research  zu ihrem korrespondierenden Mitglied, und 1994 wurde ihm in Berkeley der sehr ehrenvolle Senior Scientist Award der International Society for Psychotherapy Research verliehen. Er wurde Visiting Professor an der Psychoanalytic Unit des Londoner University College. Kurz vor seinem Tod war er zu einer Vortragsreise in Buenos Aires, Montevideo und Porto Allegre. Erst relativ spät also hat die internationale Forschergemeinde wahrgenommen und gewürdigt, dass Adolf-Ernst Meyer einer der bedeutendsten Psychotherapieforscher war. Mich hat das an einen anderen bedeutenden Hamburger erinnert, Günter Wand, der ein halbes Leben Kapellmeister im Gürzenich war und als Pensionär der Liebling der Hamburger wurde, aber erst in seinen letzten Jahren von den Amerikanern als einer der größten seiner Zunft entdeckt wurde.
Es charakterisiert Adolf-Ernst Meyers Forschertätigkeit, dass er jeweils einen Partner hatte, der ihn anregte, oder der ein kongenialer Gesprächspartner war. Hellmuth Freyberger hatte ihm einst schon empfohlen, sich bei Arthur Jores zu bewerben, v. Zerssen war bis zu seinem Wechsel nach Zürich und Heidelberg, zuletzt München, sein Partner im Hirsutismus-Projekt. Heinz Frahm motivierte ihn, sich für die Anorexia nervosa zu interessieren. Hedwig Wallis regte ihn zur Bemühung um den SFB 115 an. Für Horst Kächele war er zuerst das große wissenschaftliche Vorbild, später ebenso wie Thomä gleichrangiger wissenschaftlicher Partner. Er regte seinerseits die berühmte Ulmer Werkstatt an und war über viele Jahre, bis 1995, an dem „vital pleasure“ der Ulmer Ski-Seminare in Hintertux beteiligt. In den letzten Jahren hat Horst Kächele auf seine ingeniöse Weise dem Meister seinen Dank abgestattet: Er hat die International Society for Psychosomatic Research darauf aufmerksam gemacht, dass sie einen der Großen dieses Geschäfts glatt übersehen hatte. Rainer Richter hat den offenbar zunächst wegen der Arbeitsbelastung Zögernden davon überzeugt, dass sie sich um das große Regierungsgutachten bewerben sollten; er hat sich damit zweifellos historische Verdienste erworben. Zuletzt war es Hellmuth Freyberger, der ihn motivierte, ein psychosomatisches Lehrbuch zu produzieren.
Es gab auch Partner anderer Art: Solche, mit denen er sich wissenschaftlich streiten konnte. Eysenck zum Beispiel. Das glänzendste Beispiel ist die Kontroverse mit Klaus Grawe über dessen Einschätzung psychoanalytischer Therapie. Die Psychotherapeuten Mitteleuropas waren faszinierte Zeugen dieses wissenschaftlichen Streites auf hohem Niveau. Hierbei hat sich wieder einmal gezeigt, dass Adolf-Ernst Meyer zwar in der Sache unerbittlich und mit großer Klarheit seine Position vertrat, dabei aber immer fairer Gegner blieb, der nicht demütigte, sondern dem Gegner auch seine guten Gedanken ließ und bestätigte. Zuletzt war es der Aufsatz „Über die Wirksamkeit psychoanalytischer Therapie bei psychosomatischen Störungen“ als Antwort auf Grawes Behauptung, die Psychoanalytiker seien auf psychosomatischen Lehrstühlen fehl am Platze, weil die psychoanalytische Therapie psychosomatischer Störungen schlecht wegkomme. Hier zeigte Adolf-Ernst Meyer, wie sorgsam und differenzierend dieser Gegenstand behandelt werden muss, damit ihm Gerechtigkeit widerfährt. Wörtlich: „Aufgabe der differentiellen Psychotherapie-Effizienzforschung wird sein, welche dieser Komponenten, in welcher Kombination, mit welcher ‚Dosierung‘ und in welcher Reihenfolge bei welchen Kranken wirksamer sind als andere.“ Es steht in dem von Adolf-Ernst Meyer zusammen mit Bernhard Strauß 1994 herausgegebenen Buch „Psychoanalytische Psychosomatik“, das die beiden mir zum 60. Geburtstag schenkten. Das Buch ist die Antwort auf Grawe, mit fast 30 Autorenantworten. Es ist im Schattauer-Verlag erschienen. Die meisten der damals prominenten Fachleute Deutschlands waren daran beteiligt. Auch die ehrwürdige Annelise Heigl-Evers und Horst Eberhard Richter waren darunter.
Neben den Partnern, die Adolf-Ernst Meyer zu Kooperation oder wissenschaftlichem Disput anregten, gab es auch andere, ohne die ein Chef ein Johann Ohneland ist: die Mitarbeiter. Mehrere Generationen haben an der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie gearbeitet: Zu den frühen Mitarbeitern gehören Petra Netter, Hilka Otte, Waltraut Bolz, Brigitta Bühring, Renate Zenker, Ursula Boehncke, Claritta v. Trott, Marie-Agnes Arnold, Wolfgang Meuthen, Stephan Mertens, Ekkehard Ottmer, Heinz Kehrel, Michael Scherf. Vor allem aber waren Margit v. Kerekjarto und Hellmuth Freyberger bis zu ihren Lehrstuhlübernahmen die wissenschaftlichen und klinischen  Säulen der Abteilung. Später waren es Antje Haag, Stephan Ahrens, Friedrich-Wilhelm Deneke, Rainer Richter, Ulrich Stuhr, Klaus Engel, Uwe Koch, Ulrich Lamparter. Wenn man deren wissenschaftliche Gegenstände betrachtet: Colitis ulcerosa, M. Crohn, Alexithymie, die Entwicklung eines Narzißmusinventars, Herztodphobie, Ausländerprobleme, der Wandel der Familie, psychosomatischer Versorgungsbedarf, Psychoanalyseforschung, Hörsturz u. a., so verwundert es nicht, dass Adolf-Ernst Meyer sich in seiner Abschiedsrede glücklich über sein Team äußerte. Dass der jüngste Habilitand seiner Abteilung, Ulrich Lamparter, den begehrten Preis unseres Faches, den Römer-Preis errungen hat, muss ihn besonders gefreut haben.
Es sind eben auch sehr begabte Kolleginnen und Kollegen. Er erzeugte bei den meisten seiner Mitarbeiter passagere Arbeitsstörungen, weil er so umfassend überlegen und unerreichbar war. Ich erinnere mich z. B., dass ich mich wunderte, wie er es zustande bringe, nicht nur mehr und schneller zu arbeiten, mehr gelesen zu haben, in der Philosophie und in der sogenannten schönen Literatur zu Hause zu sein, sondern auch noch eine Unmenge Filme zu kennen. Erst viel später erfuhr ich, dass die Filmkritik einst sein Beruf oder einer seiner Berufe gewesen war, dass er René Clair und andere Größen der Branche interviewt hatte, dass er zeitweilig ein Star des frühen Schweizer Fernsehens gewesen war und eine eigene Sendung zur besten Sendezeit am Sonntag hatte. Dies war eine von den vielen Überraschungen, die man mit Adolf-Ernst Meyer erleben konnte, wenn man ihn lange genug kannte. Er gab sie nämlich nicht leicht preis; es geschah so beiläufig.
Später habe ich erfahren, dass er auch zeitweilig eine Galerie im Züricher Niederdorf betrieb. Erstaunlich. Aber er war auch der Sohn eines erstaunlichen Vaters, der Mitarbeiter von Brown Bovery und ein großer Erfinder mit unzähligen Patenten war, zuletzt Mitglied des Aufsichtsrates. Dolf Meyer war ein ungewöhnlicher Sohn eines ungewöhnlichen Vaters. Von dem erzählte er, er habe ihn einmal gefragt, warum er immer diese großen amerikanischen Schlitten fahre, und der Vater habe geantwortet, er sei ein lausiger Autofahrer, und diese Autos seien seine Lebensversicherung. Die Familie wohnte an der Goldküste in Küsnacht, und eines Tages verwechselte der Vater Vorwärts- und Rückwärtsgang. Während das Auto im Zürichsee versank, stieg der Vater aus und fuhr mit der S-Bahn in sein Büro. Eine Nachbarin, die das Auto versinken sah, alarmierte die Polizei, und Taucher suchten nach der Leiche. Indessen wird er vielleicht gerade eine Erfindung gemacht haben.
Adolf-Ernst Meyer war durch sein Beispiel ein Karriereinitiator. Margit v. Kerekjarto wurde Lehrstuhlinhaberin für Medizinische Psychologie im UKE, Hellmuth Freyberger Lehrstuhlinhaber für Psychosomatische Medizin in Hannover.
Insbesondere durch die Gründung des SFB 115 sammelten sich die Begabten der jüngeren Generation in seinem Umkreis: Uwe Koch, der später auf den Lehrstuhl für Rehabilitationspsychologie in Freiburg berufen wurde, bevor er nach seiner Rückkehr als Nachfolger von Margit Kerekjarto im UKE ein unvergleichliches Wissenschaftsimperium begründete, das auch die Fakultät so beeindruckte, dass er bis heute ihr Dekan ist, Friedrich Balck, der mit Uwe Koch und mir das Hämodialyseprojekt im SFB betrieb, auch als gemeinsame Herausgeber der einzigen deutschen Monographie über Psychonephrologie, und der später Lehrstuhlinhaber für Medizinische Psychologie an der TU Dresden wurde, Annegret Boll-Klatt, die als Doktorandin in unserem SFB-Herzoperationsprojekt begonnen hatte und später diese Kenntnisse als leitende Psychologin der Segeberger Kliniken nutzen konnte, dort u. a. in Kooperation mit meinem Lehrstuhl unsere Kieler Studenten unterrichtete und jetzt im Institut für Psychotherapie der Hamburger Universität lehrt, wo sie zusammen mit Mathias Kohrs ein ganz vorzügliches Lehrbuch produziert hat: „Praxis der psychodynamischen Psychotherapie“; Bernd Dahme, mit dem ich unser SFB-Herzoperationsprojekt in Kooperation mit dem Begründer der Hamburger Herzchirurgie, Georg Rodewald betrieb, und der wie auch Jochen Eckert Professor am Psychologischen Institut der Hamburger Universität wurde, Friedrich Wilhelm Deneke, der kommissarischer Nachfolger von Adolf-Ernst Meyer wurde und außer dem erwähnten Narzißmusfragebogen ein hervorragendes Buch über „Psychologische Struktur und Gehirn“ schrieb, Bernhard Strauß, der nach dem Ende des SFB mein Mitarbeiter in  Kiel wurde, ein Glücksfall für unsere Kieler Klinik, und der jetzt den Jenaer Lehrstuhl für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie bekleidet, der mein Nachfolger in der Leitung des DKPM und einer meiner Nachfolger in PPmP ist, Rainer Richter, der bis vor kurzem der Chef der Hamburger und der Deutschen Psychologischen Psychotherapeuten war, seine Frau, Herta Richter-Appelt als Professorin für Sexualforschung. Es ist keine vollständige Liste.
Ich selbst verdanke Dolf Meyer mehr, als ich je an Förderung in meinem Beruf erfahren habe. Er förderte ohne viel Aufhebens, sozusagen hinter meinem Rücken, meine Habilitation, er verschaffte mir lautlos für meine beiden großen SFB-Projekte brillante Mitarbeiter, mit denen zu arbeiten zu meinen schönsten Berufserfahrungen gehört. Ihm vor allem verdanke ich meinen Lehrstuhl. Über all das sprachen wir zwar nicht, aber ich habe diese Förderung nicht übersehen und glaubte, diese der nachfolgenden Generation weitergeben zu sollen. Nachdem ich den Kieler Lehrstuhl übernommen hatte, sammelte ich alle, die auf dem psychosomatischen und klinisch-psychologischen Feld an der Kieler Universität tätig waren, um mit ihnen einen SFB zu gründen. Wir hatten auch eine Reihe schöner, aussichtsreicher Projekte zusammen gebracht, aber für einen SFB-Antrag waren es zu wenige, die thematisch zusammen passten. Stattdessen fanden einige Arbeitsgruppen zusammen. Es führte also nicht zu dem von mir gewünschten Ziel, aber es war nicht vergeblich.
Nur im weitesten Sinne der Förderung durch Dolf Meyer ist, dass ich in seiner Klinik meine spätere Frau kennen lernte. Sie teilte die genaueren Aspekte dem Chef per Fehlleistung mit. Den Kuchen samt Billett für mich legte sie versehentlich in Dolf Meyers Fach im Sekretariat, und am nächsten Tag fand sie in ihrem Fach einen Zettel, auf dem er ihr mitteilte, dass der Kuchen gut war und die Mitteilung auch.
Ich erlebte, dass  Dolf Meyer weder kommandierte noch kritisierte, aber gerade das motivierte mich wie die anderen, dem Chef, den wir alle liebten und bewunderten, keinen Anlass zur nicht geäußerten Enttäuschung zu geben – es war ein sehr feines, stummes menschliches Geflecht. Einmal stimmte er mir zu, als ich sagte, die Schwaben seien emotional etwas karg. Das registrierte ich wohl. In Schwaben gilt ja der Merkspruch: Net gschimpft isch gnug globt. Eine für ihn seltene kritische Bemerkung bei einer Sitzung in meiner Wohnung war, als er bemerkte, der Tee sei bitter. Dass ich diese Banalität nicht vergaß, liegt an ihrer Singularität.
Nach meiner gescheiterten Bewerbung um den Tübinger Lehrstuhl lud er mich – auch das ungewöhnlich –  in eine Kneipe in der Curschmannstraße ein. Er sagte, ich sei immer gut, wenn es um nichts gehe. In Tübingen ging es aber um etwas, und ich war schlecht. Es war die Zeit, in der ein kleiner Trupp von ernsthaften Lehrstuhlanwärtern, teils Freunde wie Sven-Olaf Hoffmann und Michael v. Rad, sich um die Lehrstühle bewarb, die wir dann, einer nach dem anderen, auch bekamen. Tübingen war nun eine besondere Sache für mich, denn ich war in dieser entlegendsten Weltstadt, wie Walter Jens sagte, aufgewachsen und wollte dahin eigentlich nicht zurück. Sich aber nicht zu bewerben wäre fahrlässig gewesen. Ich wählte nun den neurotischen Modus: ich hielt die schlechteste Bewerbungsrede meines Lebens, und man konnte mich unmöglich wählen. Am meisten tat es mir später um Dolf Meyer leid, denn kein Chef kann wünschen, dass ein Mitarbeiter sich woanders blamiert. Mir wurde mein Agieren natürlich erst nachträglich klar.
In den letzten Jahren hatte ich das Vergnügen, viele seiner beeindruckenden Eigenschaften wieder aus der Nähe zu erleben. Der Huber-Verlag in Bern war an Hellmuth Freyberger herangetreten, ob er nicht das ehedem so erfolgreiche Joressche Lehrbuch „Praktische Psychosomatik“ neu herausgeben wolle. Hellmuth Freyberger fragte Adolf-Ernst Meyer, Margit v. Kerekjarto und mich, und nach einigem Zögern – wir hatten alle genug zu tun – erklärten wir uns bereit, das Buch, zusammen mit unseren jeweiligen Mitarbeitern, neu zu schreiben, aber unter dem alten Titel: „Jores – Praktische Psychosomatik“. Reinhard Liedtke, damals noch Oberarzt von Hellmuth Freyberger, später Lehrstuhlinhaber in Bonn, kam als Herausgeber hinzu. Als die Manuskripte der 40 Autoren fertig waren, trafen wir uns über viele Wochenenden und arbeiteten sie mehrfach Wort für Wort durch. Es war ein besonderes Vergnügen zu erleben, wie rasch Adolf-Ernst Meyer den Überblick über unklare Sachverhalte hatte, die treffenden Formulierungen fand und Gegenstände immer wieder hartnäckig wandte und betrachtete, bis sie die richtige Form hatten.  Er war von uns der Unermüdlichste und auch nie um einen treffenden Witz verlegen. Dass es ein gutes Buch wurde, ist wesentlich Dolf Meyers Verdienst.
Zu seinem 70. Geburtstag wurde das Buch nicht fertig. Dolf Meyer war schon sehr krank, was alle die vielen Freunde und Gäste, die zu diesem Ereignis kamen, bestürzt wahrnahmen.
Ich bekam das Titelblatt rechtzeitig und ließ bei einem Kieler Buchbinder eine Attrappe anfertigen. Zum Geburtstag sah es dann aus wie die Exemplare in Bücherregalen von Möbelhäusern. Es wurde die einzige Version unseres Buches, die Dolf Meyer noch zu Lebzeiten zu sehen bekam. Damit es wenigstens einen Inhalt hätte, kaufte ich eine Woche davor in Berns bester Confiserie in der Spitalgasse einen von den berühmten Berner Haselnußlebkuchen, der zum Format passte. Inzwischen hatte aber mein Buchbinder das Format gewechselt, und meine Sekretärin und ich mussten vorsichtig die Ränder abschneiden. Man sah die Beschädigung kaum, und wir konnten uns von der guten Qualität des Lebkuchens überzeugen. Dolf Meyer überlebte diese Abschiedsgabe nur wenige Tage.